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Europäisches Zentrum für Sprachwissenschaften Heidelberg / Mannheim

Komparatistisches Wörterbuch europäischer Ideologeme zwischen 1850 und 1933

Gibt ideologemees einen deutschen Sonderweg, der in einer Art politischen Zwangsläufigkeit die Deutschen von einer demokratischen Entwicklung abgehalten und zu einer autoritären bildungsbürgerlichen Ersatzentwicklung geführt hat, welche schließlich fast zwangsläufig in den Nationalsozialismus münden musste? Hat die Weimarer Klassik, so eine der dazugehörigen Thesen (Wehler, von Polenz), eine bildungsbürgerliche Ersatzreligion als Komplementärideologie geschaffen, die statt zur Demokratisierung der Gesellschaft zur mentalen Neutralisierung sozioökonomischer Konfliktfelder, schließlich zur Verantwortungsverweigerung für gesellschaftlich-notwendige Veränderungen geführt hat? Sind die kulturpessimistischen Anklagen der Zeit Ausdrucksformen dieser anachronistischen Handlungsverweigerung?

Was hat der Künstlerbegriff mit Hitler zu tun? Wenn Thomas Mann einen Gegensatz von Kultur und Zivilisation konstruiert und letztlich den besonderen Wert der eigenen deutschen Kultur konstituiert, so ist das nur ein Beispiel für ideologisches Sprechen, eines jedoch, das die konstitutive Macht der Semantisierungen exemplifiziert. Von Wagner zu Lagarde zu Nietzsche zu Langbehn zu Chamberlain zu Hugo von Hofmannsthal zu Thomas Mann zu Moeller van den Bruck zu Spengler schließlich zu Hitler gibt es keinen zwangsläufigen Weg, aber es gibt rekonstruierbare semantische Prägungen, deren ideologische Konsequenzen tatsächlich im Nationalsozialismus münden. Terry Eagleton schreibt (2000, 7): „Man könnte das Wort >Ideologie< als einen Text bezeichnen, der aus vielen verschiedenen begrifflichen Fäden gewoben ist und von divergierenden Traditionslinien durchzogen wird.“

Diese nachzuzeichnen soll eine Aufgabe des Projektes sein. Die zweite und hauptsächliche Aufgabe ist es jedoch, in neuartiger interdisziplinärer Weise mit historischen und mit sprachwissenschaftlichen Methoden das einzulösen, was im Kontext der Sonderwegsthese immer wieder gefordert wird: Das Eröffnen einer europäischen Dimension. Inwiefern sind die begrifflichen Fäden und Traditionslinien wirklich typisch deutsch? Sind sie nicht in elementarer Weise genauso europäisch wie zum Beispiel Houston Stewart Chamberlain es war, der geborene Engländer, der in der Schweiz und Frankreich aufgewachsen ist, um sich am Ende als Schwiegersohn Richard Wagners zum Deutschtum zu bekehren? Der mit großer Begeisterung Thomas Carlyle‘s Heldenideologie übernahm und an die Deutschen weitergab? Der die Franzosen Arthur de Gobineau und Auguste Renan gelesen und deren rassentheoretische Überlegungen in seinen eigenen Werken verarbeitet hat? Chamberlains Bücher zeugen von der europäischen Dimension bildungsbürgerlicher Ideologeme. Dasselbe gilt für den Naturbegriff Julius Langbehns.

Inwiefern lassen sich über die Analyse zentraler Begriffe Gemeinsamkeiten und Divergenzen in Europa nachzeichnen, die entweder die Sonderwegsthese bestätigen oder relativieren?

Die Analyse der entsprechenden Quellentexte, am besten aus mehreren europäischen Sprachen (Englisch, Französisch, Tschechisch, Ungarisch, Italienisch, Deutsch) ist die einzig adäquate Methode, die genannten Fragestellungen anzugehen. Als Darstellungsform sind einzelne sprachbezogene Wörterbuchartikel nach dem Vorbild von Lobenstein-Reichmann 2008 angedacht. Diese wörterbuchartigen Darstellungsteile gewährleisten eine interlinguistische Vergleichbarkeit, da sie Basisinformationen bereitstellen für die Öffnung zu pragmatischen, schichtensoziologischen und texthistorischen Fragestellungen. Es sollen für jede Einzelsprache u. a. folgende Lemmata untersucht werden (offene Reihe): Sprache, Rasse, Nation, Volk, Mensch, Künstler, Arier, Jude, Persönlichkeit, Individuum, Held, Genie, Geschichte, Wille, Kraft, Tat, Natur, jeweils in ihren allseitigen wortbildungsmorphologischen, semantischen und pragmatischen Kontextualisierungen. Den so nebeneinander gestellten Artikeln folgt ein diskursiv gehaltener Vergleich, indem die Gemeinsamkeiten und Divergenzen der Einzelsprachen herausgearbeitet und auf ihre zentralen begrifflichen Fäden und Traditionslinien hin aufbereitet werden.

Aktuelle Aktivitäten

Die international besetzte Arbeitsgruppe trifft sich derzeit in regelmäßigen Abständen zur weiteren Projektkoordination und Antragsvorbereitung.

KooperationspartnerInnen / MitarbeiterInnen

  • Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann (IDS)
  • Prof. Dr. Jörg Riecke (Universität Heidelberg)

AnsprechpartnerIn

Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann (IDS)

Janine Luth (EZS-Geschäftsstelle)